Alle Nobelpreis Gewinner in Literatur von 1901 bis 2016
All Nobel Prize winners for literature since 1901 till 2016
Der erste Nobelpreis für Literatur wurde 1901 an de n französischen Poeten und Philosophen Sully Prudhomme verliehen. Wer den Preis seither erhielt, sehen Sie hier im Überblick.
2018 wurde kein Literaturnobelpreis vergeben - wegen der Streitigkeiten in der Schwedischen Akademie infolge eines Missbrauchsverfahrens. Auch in den Jahren 1914, 1918, 1935 sowie von 1940 bis 1943 wurde kein Literaturnobelpreis vergeben. Vier Mal - 1904, 1917, 1966 und 1974 - mussten sich zwei Schriftsteller die Auszeichnung teilen. Auch 2019 gibt es zwei Preisträger, wobei einem nachträglich der Preis für 2018 zuerkannt wird.
The first Nobel Prize for Literature was awarded in 1901 to the French poet and philosopher Sully Prudhomme. You can see an overview of who has received the award since then here.
No Nobel Prize in Literature was awarded in 2018 - because of the disputes in the Swedish Academy as a result of an abuse procedure. No Nobel Prize for Literature was awarded in 1914, 1918, 1935 or from 1940 to 1943. Four times - in 1904, 1917, 1966 and 1974 - two writers had to share the award. There are also two prize winners in 2019, with one of them subsequently being awarded the prize for 2018.
Zwei Autoren lehnten den Nobelpreis bisher ab: 1958 musste der sowjetische Autor Boris Pasternak den Preis auf Druck seiner Regierung hin zurückweisen. Der Franzose Jean-Paul Sartre weigerte sich 1964, die Auszeichnung anzunehmen.
Two authors have so far rejected the Nobel Prize: In 1958, the Soviet author Boris Pasternak had to reject the prize due to pressure from his government. The Frenchman Jean-Paul Sartre refused to accept the award in 1964.
Die Literaturnobelpreisträger bis 2016 im Überblick:
The Nobel Prize winners for literature at a glance:
2016: Bob Dylan (USA)
2015: Swetlana Alexijewitsch(Weißrussland)
2014: Patrick Modiano (Frankreich)
2013: Alice Munro (Kanada)
2012: Mo Yan (China)
2011: Tomas Tranströmer (Schweden)
2010: Mario Vargas Llosa (Peru)
2009: Herta Müller (Deutschland)
2008: J.M.G. Le Clézio (Frankreich)
2007: Doris Lessing (Großbritannien)
2006: Orhan Pamuk (Türkei)
2005: Harold Pinter (Großbritannien)
2004: Elfriede Jelinek (Österreich)
2003: John M. Coetzee (Südafrika)
2002: Imre Kertész (Ungarn)
2001: V.S. Naipaul (Trinidad/Großbritannien)
2000: Gao Xingjian (China)
1999: Günter Grass (Deutschland)
1998: José Saramago (Portugal)
1997: Dario Fo (Italien)
1996: Wislawa Szymborska (Polen)
1995: Seamus Heaney (Irland)
1994: Kenzaburo Oe (Japan)
1993: Toni Morrison (USA)
1992: Derek Walcott (St. Lucia)
1991: Nadine Gordimer (Südafrika)
1990: Octavio Paz (Mexiko)
1989: Camilo José Cela (Mexiko/Spanien)
1988: Nagib Mahfus (Ägypten)
1987: Joseph Brodsky (Russland/USA)
1986: Wole Soyinka (Nigeria)
1985: Claude Simon (Madagaskar/Frankreich)
1984: Jaroslav Seifert (Tschechoslowakei)
1983: William G. Golding (Großbritannien)
1982: Gabriel García Márquez (Kolumbien)
1981: Elias Canetti (Bulgarien/Großbritannien)
1980: Czeslaw Milosz (Russ.Reich/USA)
1979: Odysseas Elytis (Griechenland)
1978: Isaac B. Singer (Polen/USA)
1977: Vicente Aleixandre (Spanien)
1976: Saul Bellow (Kanada/USA)
1975: Eugenio Montale (Italien)
1974: Eyvind Johnson (Schweden)
Harry Martinson (Schweden)
1973: Patrick White (England/Australien)
1972: Heinrich Böll (Deutschland)
1971: Pablo Neruda (Chile)
1970: Alexander Solschenizyn (Russland/UdSSR)
1969: Samuel Beckett (Irland)
1968: Jasunari Kawabata (Japan)
1967: Miguel Angel Asturias (Guatemala)
1966: Samuel Agnon (Österreich-Ungarn/Israel),
Nelly Sachs (Deutschland/Schweden)
1965: Michail Scholochow (Russland/UdSSR)
1964: Jean-Paul Sartre (Frankreich)
1963: Giorgos Seferis (Osmanisches Reich/Griechenland)
1962: John Steinbeck (USA)
1961: Ivo Andric (Bosnien/Jugoslawien)
1960: Saint-John Perse (Guadeloupe/Frankreich)
1959: Salvatore Quasimodo (Italien)
1958: Boris Pasternak (Russland/UdSSR)
1957: Albert Camus (Algerien/Frankreich)
1956: Juan Ramón Jiménez (Spanien)
1955: Halldór Kiljan Laxness (Island)
1954: Ernest Hemingway (USA)
1953: Winston Churchill (Großbritannien)
1952: François Mauriac (Frankreich)
1951: Pär Lagerkvist (Schweden)
1950: Bertrand Russell (Großbritannien)
1949: William Faulkner (USA)
1948: Thomas Stearns Eliot (USA/Großbritannien)
1947: André Gide (Frankreich)
1946: Hermann Hesse (Deutschland/Schweiz)
1945: Gabriela Mistral (Chile)
1944: Johannes Vilhelm Jensen (Dänemark)
1939: Frans Eemil Sillanpää (Russ.Reich/Finnland)
1938: Pearl S. Buck (USA)
1937: Roger Martin du Gard (Frankreich)
1936: Eugene O'Neill (USA)
1934: Luigi Pirandello (Italien)
1933: Iwan Bunin (geb. in Russland, später staatenlos, Sitz in Frankreich)
1932: John Galsworthy (Großbritannien)
1931: Erik Axel Karlfeldt (Schweden)
1930: Sinclair Lewis (USA)
1929: Thomas Mann (Deutschland)
1928: Sigrid Undset (Dänemark/Norwegen)
1927: Henri Bergson (Frankreich)
1926: Grazia Deledda (Italien)
1925: George Bernard Shaw (Irland/Großbritannien)
1924: Wladyslaw Stanislaw Reymont (Russ.Reich/Polen)
1923: William Butler Yeats (Irland)
1922: Jacinto Benavente (Spanien)
1921: Anatole France (Frankreich)
1920: Knut Hamsun (Norwegen)
1919: Carl Spitteler (Schweiz)
1917: Karl Adolph Gjellerup (Dänemark)
Henrik Pontoppidan (Dänemark)
1916: Verner von Heidenstam (Schweden)
1915: Romain Rolland (Frankreich)
1913: Rabindranath Tagore (Indien)
1912: Gerhart Hauptmann (Deutschland)
1911: Maurice Maeterlinck (Belgien)
1910: Paul Heyse (Deutschland)
1909: Selma Lagerlöf (Schweden)
1908: Rudolf Eucken (Deutschland)
1907: Rudyard Kipling (Brit.Indien/Großbritannien)
1906: Giosuè Carducci (Italien)
1905: Henryk Sienkiewicz (Polen)
1904: Frédéric Mistral (Frankreich)
José Echegaray (Spanien)
1903: Bjørnstjerne Bjørnson (Norwegen)
1902: Theodor Mommsen (Deutschland)
1901: Sully Prudhomme (Frankreich)
Literaturepochen – Übersicht
Hier findest du eine Übersicht über die wichtigsten Literaturepochen …
… bis zum 20. Jahrhundert:
Literaturepochen Zeit
Mittelalter 860 – 1500
Barock 1600 – 1720
Aufklärung 1720 – 1800
Empfindsamkeit 1740 – 1790
Sturm und Drang 1765 – 1790
Weimarer Klassik 1786 – 1832
Romantik 1795 – 1840
Vormärz 1815 – 1848
Biedermeier 1815 – 1848
Realismus 1848 – 1890
Naturalismus 1880 – 1900
… ab dem 20. Jahrhundert:
Literaturepochen Zeit
Moderne 1880 – 1920
Expressionismus 1905 – 1925
Neue Sachlichkeit 1918 – 1933
Exilliteratur 1933 – 1945
Innere Emigration 1933 – 1945
Trümmerliteratur 1945 – 1950
BRD / DDR 1950 – 1990
Neue Subjektivität 1970 – 1979
Postmoderne ca. 1990 – 2010
Kann Literatur Wahrheit vermitteln?
Kann Literatur Wahrheit vermitteln? Der Roman „The Furrows“ zeigt, wie Literatur Wahrheit neu definiert und sich von historischen Fakten löst. Die Wahrheit in der Literatur misst sich hier nicht an Objektivität, sondern am Wert subjektiver Wahrnehmungen.
Was genau unter den Begriffen Literatur und Wahrheit zu verstehen ist, wird seit Jahrtausenden immer wieder neu definiert. In diesem Beitrag meint Literatur fiktionale schriftliche Texte seit dem Mittelalter mit einem Schwerpunkt in der englischen Literatur, konkret von Shakespeare bis zur Gegenwart; Wahrheit verstehe ich als relationalen Begriff, der zum Beispiel das Verhältnis von Sprache und historischer Wirklichkeit oder von verbaler Aussage und Fakt normativ definiert (Korrespondenztheorien). Das Verhältnis von Literatur und Wahrheit in diesem Sinne ist problematisch. Aber das ist kein Nachteil.
Das Zitat der Überschrift ist der erste Satz aus The Furrows. An Elegy (2022) von Namwali Serpell, einer Schriftstellerin aus Sambia, die in den USA lebt. Die Ich-Erzählerin Cassandra Williams – genannt Cee –, beschreibt in diesem Roman, wie ihr siebenjähriger Bruder Wayne im Meer umkommt, während sie – zwölfjährig – versucht, ihn zu retten. Sie verliert vor Erschöpfung ihr Bewusstsein und als sie wieder zu sich kommt, ist sein Körper verschwunden. Wie gehen Menschen mit einem solchen Erlebnis um? Mit dem Schrecken, der unendlichen Trauer, den Schuldgefühlen, der Rätselhaftigkeit und Ungewissheit, die sich durch keine Erklärung in Sicherheit verwandeln lässt? Während ihr Vater die Familie verlässt, gründet die Mutter einen Wohltätigkeitsverein für verschwundene Kinder und erlangt in ihrer Rolle als fotogene, sich grämende (weiße) Mutter mediale Berühmtheit. Cee hingegen erzählt das traumatische Erlebnis in immer neuen Versionen nicht nur in ihren diversen Therapiesitzungen, sondern auch den Lesern: Wayne ertrinkt, er fällt von einem Karussell, er wird von einem Auto überfahren. Es ist ausgeschlossen, dass alle Versionen wahr sind im Sinne einer Übereinstimmung von verbalem Bericht und faktischen, das heißt nachweisbaren Ereignissen. Doch diese Art des Umgangs mit ihren Gefühlen artikuliert Wahrheiten, die für sie als Individuum wichtiger sind als der konkrete Hergang der Katastrophe – für eine Versicherungsfirma oder für einen Gerichtsprozess sähe die Priorisierung natürlich anders aus. Was heißt: Wahrheit kann je nach Kontext Unterschiedliches bedeuten.
Es geht Cee nicht um Faktizität, sondern darum, was dieses Ereignis in ihr ausgelöst hat: „I dont want to tell you how it happened. I want to tell you how it felt“: „Ich möchte nicht erzählen, was passiert ist. Ich möchte erzählen, wie es sich angefühlt hat.“ Schon Aristoteles sieht in seiner Poetik (ca. 335 v. Chr.) – einem grundlegenden Text für die abendländische Literatur – nicht die wahrhaftige Nachzeichnung historischer Ereignisse, sondern die Nachahmung (Mimesis) der menschlich erlebten Wirklichkeit als die wichtigste Aufgabe der Literatur. Allerdings zeigen Cees Versuche, ihr Empfinden in immer neue Geschichten zu fassen, dass Sprache ihren Schmerz nur unzureichend nachahmen kann, da jede Version nur bestimmte Aspekte ihres Erlebens dramatisiert: die Plötzlichkeit der Katastrophe, die Hilflosigkeit, der Verdacht, dass ihr Bruder – an sie geklammert – stirbt, das Entsetzen, als Wayne verschwunden ist.
Damit illustriert der Text eine wichtige Wahrheit über das Verhältnis von wahrhaftig erlebter Wirklichkeit und Sprache: Sprache – egal mit welchem Zeichenrepertoire – kann Wirklichkeit nicht spiegeln, sondern nur Hinweise geben, die durch die Erfahrung und das Wissen der Leserin interpretierend vervollständigt und so mit Sinn gefüllt werden müssen (Hermeneutik). Im Falle von Cee heißt das: Ihr traumatisches Erlebnis übersteigt alle verbalen Ausdrucksformen und verbleibt größtenteils im Schweigen des Unbenannten. Der Schriftsteller Tim Parks schreibt dazu: „The genius of language is omission. It misses most things out, almost everything in fact [while] imposing some kind of shape and momentum on the precarious, barely describable business of actually being here, moment by moment, in the world.” Sprachliche Äußerungen verfehlen also nicht nur die Qualität der erlebten Wirklichkeit, sondern je nach Sprachstil, Wortwahl und Auswahl des Benannten verändern sich Fokus und Thema der Aussage und damit die Wirkung auf Zuhörer oder Leser. Bereits im alltäglichen Gebrauch erschaffen sprachliche Äußerungen damit Wirklichkeiten im Sinne von entscheidungs- und handlungsrelevanten Perspektiven und Werterastern (Rhetorik).
Dieses kreative Potential von Sprache allgemein wird in der Literatur erweitert durch die Befreiung vom Zwang zur Realitätstreue. Literarische Texte können daher ungestraft Wirklichkeiten mit plausiblen Eigenlogiken (reality effect) erschaffen, die Ungedachtes, Tabuisiertes, Verworfenes fiktional erproben und so Alternativen zu kulturell und disziplinär vorherrschenden Überzeugungen und Denkmodellen entwerfen. Seit der Romantik im 18./19. Jahrhundert gilt es sogar als die spezielle Domäne von Literatur, „das Arkane, Ausgeschlossene, Verworfene oder […] das noch Unbeantwortete und Fragliche, also […] das eigentlich nicht Gewusste” (Gess und Janßen) zu thematisieren und so ein dissidentes Archiv (Kley) zu schaffen.
In seiner Schrift Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne (1873) behauptet Friedrich Nietzsche: „Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen […]: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind […].“ Nach dieser – sprachlichen – Aussage ist Sprache kein transparentes Fenster auf eine wahre Welt hinter der Sprache, sondern ein System von Zeichen mit sich stetig verändernden und gegenseitig bedingenden Bedeutungen, deren Aussagen immer ein gebrochenes Verhältnis zu erlebter oder historischer Wirklichkeit haben. Die grundsätzliche Wahrheit der Literatur besteht darin, dass sie diese Gebrochenheit implizit oder explizit zu ihrem Thema macht. Egal ob es um Hamlets Betroffenheit durch das Aufkommen der empirischen Wissenschaften im 16./17. Jahrhundert, um den Umgang mit Gefühlen der individuellen Hilflosigkeit angesichts des rasant fortschreitenden Klimawandels oder um Möglichkeiten und Probleme in der Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz in der Gegenwart geht: In der Literatur werden Denkmodelle, Thesen, Erkenntnisse, Problemstellungen aus Philosophie, Religion und Wissenschaften nie nur abstrakt, sondern immer gebrochen durch ihre Bedeutung für den konkreten Lebensvollzug individueller Charaktere unter historisch und kulturell spezifischen Umständen behandelt.
Die Markierung dieser Gebrochenheit erfolgt jedoch nicht diskursiv in einer philosophischen Aussage wie bei Nietzsche, sondern vor allem durch eine Vielzahl an formalen Strategien, die Wahrheitsansprüche relativieren und den rhetorischen Status des jeweiligen Textes offenlegen. Schon die Markierung als Literatur signalisiert, dass hier ausgefeilte sprachliche Strategien benutzt werden, um bestimmte emotionale und intellektuelle Effekte zu produzieren. In The Furrows verhindert zudem der Untertitel An Elegy die Illusion einer ungebrochen authentischen Erzählung und betont, dass Cee im Rahmen eines Jahrtausende alten Formenkatalogs für die Repräsentation von Trauer spricht, denn das Genre der Elegie kann bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgt werden. Zudem fordert der Untertitel dazu auf, The Furrows nach Abweichungen von tradierten Formen der Elegie zu untersuchen, um so – historisch oder individuell bedingte – Veränderungen im Umgang mit Tod, Verlust und Gram bei der Ich-Erzählerin zu erkennen.
Im Roman und im Drama werden außerdem die Wahrheiten individueller Charaktere durch die Gegenüberstellung mit konkurrierenden Überzeugungen und Weltbildern anderer Figuren in ihrer Bedingtheit exponiert und in ihren Konsequenzen für die konkrete Lebensführung durch den Handlungsverlauf evaluiert. So wird Cees erzählerische Bearbeitung ihres Traumas durch die völlig anderen Reaktionsweisen ihres Vaters und ihrer Mutter kommentiert, umgekehrt bietet ihr elegischer Text einen Maßstab für die Interpretation der Elternreaktionen. In der Lyrik, wo es in der Regel weder Charakterkonstellationen noch nennenswerte Handlungsabläufe gibt, tritt die sinnliche – und das heißt: die ästhetische Vermittlung von Informationen als das wesentliche Merkmal literarischer Texte in den Vordergrund, da sie die Wahrnehmung und Deutung des Gesamtkunstwerkes nicht selten als Gegensatz zu den diskursiven Mitteilungen steuern. Auch für Roman und Drama sind diese Mittel wichtig, allerdings gehen sie häufig im illusorischen reality effect längerer Erzählungen unter. Zu solchen ästhetischen Informationsmedien zählen sprachliche Klangbilder (Alliteration, Assonanz, Onomatopoesie, Rhythmus, Reim etc.), visuelle Strategien (Seitenlayout, Schriftbild, Zeilenlänge, Bilder, Abschnittslänge, Titelbild, Abfolge der Ereignisse etc.) und sogar taktile (Buchformat, Papierqualität) Anreize. In dem Interviewband Strong Opinions (1974) hält Vladimir Nabokov diese ästhetisch-sinnliche Form der Kommunikation – das how? –, für weitaus wichtiger als die sprachlich-diskursiven Mitteilungen – das what?–, denn die (Be)Deutung eines literarischen Textes ist weniger an das Was als an das Wie des Erzählens gebunden und geht weit über das hinaus, was eine Inhaltsangabe wiedergeben kann. „By all means place the how above the what”.
Die unverschämte Offenheit literarischer Texte über ihr problematisches – oder komplexes – Verhältnis zu Wahrheit, die selbstreflexive Relativierung und Kontextualisierung aller absoluten Geltungsansprüche, der dezidierte Fokus auf subjektiv gebrochene Wahrnehmungen und Beurteilungen erlebter Wirklichkeit und die Zentralität der ästhetisch-sinnlichen im Gegensatz zur diskursiv-intellektuellen Kommunikationsform haben dazu geführt, dass literarisch generiertes und kommuniziertes Wissen im Abendland seit der Antike so offenkundig für weniger relevant gehalten wird als das Wissen empirischer Wissenschaften, dass der UNESCO World Report on Knowledge 2005 mahnt: “Useful knowledge is not simply knowledge that can be immediately turned into profit in a knowledge economy – ‘humanist’ and ‘scientific’ knowledge each obey different information-use strategies.” Tatsächlich ersetzt Literatur den in den Naturwissenschaften programmatisch geforderten objektivierenden Blick from nowhere ebenso programmatisch durch den Blick from somewhere, also durch eine individualisierte Perspektive in einer historisch, geographisch, kulturell und individuell spezifischen Situation mit dem Schwerpunkt auf in den Naturwissenschaften methodisch ausgeklammerten, da bei der Produktion objektiver Fakten störenden Phänomenen, die allerdings den Alltag der Menschen ausmachen: Ängste, Wünsche, Ungewissheiten, Unbestimmtheiten, Widersprüchlichkeiten.
Die Wahrheit der Literatur bemisst sich an dem Wert und der Wichtigkeit des Individuellen, Singulären, Nicht-Rationalen, Zeitgebundenen auf der Skala menschlicher Wahrnehmung und im Bewusstsein der ästhetischen und epistemologischen Gebrochenheit aller Repräsentation, und nicht an Generalisierbarkeit, Wiederholbarkeit, Quantifizierung und propositionaler Klarheit wie das der Wirklichkeit mit methodischer Präzision abgerungene Faktenwissen empirischer Wissenschaften. Die gesellschaftliche Relevanz dieser individuellen Befindlichkeiten wird leider häufig erst dann eingeräumt, wenn sie sich als Störfaktoren bei der politischen Umsetzung naturwissenschaftlich-basierter Erkenntnisse mit Bezug auf Klimawandel, Biodiversität, Energieversorgung, rationalitätsbasierte Menschenbilder und künstliche Intelligenz als Protest, Verweigerung oder alternative Faktenproduktion manifestieren.
Und wo bleibt die Wirklichkeit? Die mit anderen Menschen geteilte Welt? In The Furrows sieht Cee ihren Bruder jahrelang immer wieder, überall – in der U-Bahn, auf der Straße oder in einem Café, wo immer sie sich gerade aufhält in den USA. Trauer, Sehnsucht und Kummer bestimmen ihre visuelle Wahrnehmung, wie ihr Name es ja bereits anzeigt, denn im Englischen klingt ihr Name Cee genauso wie das Verb to see – sehen – und liefert damit eine wichtige auditive Information. Eines Tages trifft sie bei einem Unfall einen Mann, der etwas sucht. Er heißt Wayne. Cee/see?
Namwali Serpell. The Furrows. An Elegy (2022); Deutsch: Die Furchen.
Naturwissenschaften:
William Shakespeare. Hamlet (ca. 1601).
Drama über die Zerrissenheit des Titelhelden zwischen religiöser Gläubigkeit, dem mittelalterlichen Ehrenkodex und der auf individueller Beobachtung und Rationalität basierten Methode der neuen Naturwissenschaften bei der Entscheidung, den Mörder seines Vaters umzubringen.
Alfred Lord Tennyson. In Memoriam A.H.H. (1833).
Eine der berühmtesten Elegien des 19. Jahrhunderts (zum Vergleich mit Serpells The Furrows), reflektiert in den Strophen 54-56 die Bedeutung von Darwins Evolutionsbiologie für einen gläubigen Menschen.
Thomas Hardy. Hap (1866) und The Convergence of the Twain. Lines on the Loss of the Titanic (1912).
Beide Gedichte dramatisieren die existentielle Einsamkeit des Sprechers durch den Verlust eines christlichen Weltbildes als Folge des im 19. Jahrhundert verbreiteten Modells einer biologistisch determinierten Welt.
Umwelt:
Amitav Ghosh. The Hungry Tide (2004); deutsch: Hunger der Gezeiten.
Roman über Ökorassismus und epistemische Ungerechtigkeit in der globalen Umweltpolitik.
Richard Powers. The Overstory (2018); deutsch: Die Wurzeln des Lebens.
Der Roman dramatisiert individuelle Reaktionen auf Umweltpolitik, von Kunst über Wissenschaft bis Öko-Terrorismus.
Künstliche Intelligenz:
Peter Watts. Blindsight (2006); deutsch: Blindflug.
Roman über KI und Selbst-Bewusstsein.
Ian McEwan. Machines Like Me And People Like You (2019); deutsch: Maschinen wie ich.
Roman über KI und die Grenzen programmierter Kantianischer Ethik.
Kazuo Ishiguro. Klara and the Sun (2021); deutsch: Klara und die Sonne.
Roman über KI und die (programmierten) Emotionen eines Roboters.
Adler, H. (2013). Horizont und Idylle: Aspekte einer Gnoseologie von Aisthesis und Noesis In: . H. Adler und L. L. Wolff, Hrsg., Aisthesis und Noesis: Zwei Erkenntnisformen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München: Wilhelm Fink, 25–42.
Garber, Marjorie (2003). A Manifesto for Literary Studies. Washington: University of Washington Press.
Gess, N. und Janßen, S., Hrsg. (2014). Wissens-Ordnungen: Zu einer historischen Epistemologie der Literatur. Berlin: De Gruyter.
Hörisch, Jochen (2007). Das Wissen der Literatur. München: Wilhelm Fink.
Kley, Antje (2018). What Literature Knows: An Introduction. In: Antje Kley und Kai Merten, Hrsg., What Literature Knows: Forays into Literary Knowledge Production. Berlin et al.: Peter Lang, 9–26.
Mersch, D. (2015). Epistemologien des Ästhetischen. Zürich und Berlin: Diaphanes.
Nünning, V. (2014). Reading Fictions, Changing Minds: The Cognitive Value of Fiction. Heidelberg: Universitätsverlag Winter.
Parks, Tim (2018) Out of my Head. On the Trail of Consciousness. London: Vintage.
Sandkühler, H. J. (2012). Critique of Representation: Cultures of Knowledge – Humanly Speaking. In: G. Abel und J. Conant, Hrsg., Rethinking Epistemology. Hamburg und Boston: de Gruyter, 173–193 (Berlin Studies in Knowledge Research Volume 1).
Wolf, Maryanne (2018). Reader, Come Home. The Reading Brain in a Digital World. New York: HarperCollins Publishers.
Zivilisation - Geheul (Als PDF Datei zum Downloaden unter der Rubrik -Downloads)
Wir leben in einer Zeit, wo Illusionen von der Marktwirtschaft und ihren Helfern geformt werden, in einer Zeit, wo die Person des Nächsten, seine Seele belächelt wird, in einer Zeit also, wo die eigene Person sich über den Anderen stellt und das aus einem subjektiven Unbehagen darüber, dass der andere gewinnen könnte, im Geiste oder im Status, was die Hauptsache unserer Zeit ist. Der wirtschaftliche Wettbewerb hat Besitz genommen, von den Menschen und ihrem Geist.
Ich sehe die Dekadenz in
Anbetracht der Gier, nach
Der Präsentation der Unfehlbarkeit
Durch das kapitalistische Heiligtum
Status und Ansehen,
Ich sehe eine Generation
Im Exkrement der
Selbstgefälligkeit versinken
Und ihrem Hunger
Nach diesem sterblichen Status,
Ich sehe atmosphärische
Amorphe Ungeheuer aus
Leuchtenden Paralysationsapparaten
Kriechen und den Geist
Der Wesen deformieren,
Die einst geschaffen
Aus göttlicher Hand,
In grauer Vorzeit,
Aus dem Chaos.
An die, die verzweifeln
In Anbetracht der Ignoranz
Die man ihnen entgegenbringt
Und die in mit Büchern
Geheiligten Zimmern sitzen,
Um zu schreiben,
Damit ihr Geist der Zeit
Ihren Stempel aufdrücke,
Damit ihre expandierenden
Ideen, durch das uralte
Ventil Kunst illuminiert
Und befreit werden,
An die, an denen keiner
Mehr glaubt, da der
Verwerfliche Geist Körpergift
Ihnen die Sicht für sich
Selbst und das um
Sie herum verschleiert hat,
Zu einer seelenlosen
Realität ohne Bedeutung,
An die, die nicht ohne den
Bürgerlichen Mindestbesitz
Haus, Auto, Kind, Hund und
Fernseher auskommen können
Und die die heile Welt propagieren,
Obwohl ihre Strukturen unter
Der Oberfläche lodern und
Zerbröckeln, denen die
Heiligkeit zum Schein als
Pattex gilt für
Den Zusammenhalt.
Seelenlose Zeit,
Wo führst du uns hin,
Seelenlose Zeit,
Sag mir was bedeutet Brüderlichkeit,
Seelenlose Zeit,
Lebt den großen Traum der Fiktion,
Seelenlose Zeit,
Erstickt im Formalismus,
Seelenlose Zeit,
Heilig ist der Status,
Seelenlose Zeit,
Feiert Orgien der Selbstgefälligkeit,
Seelenlose Zeit,
Illusionen sind artifizielle Offenbarungen,
Seelenlose Zeit,
Erkenntnisse tragen Markennamen,
Seelenlose Zeit,
Janusköpfig ist dein Antlitz.
Apollon (altgriechisch: Ἀπόλλων) ist in der griechischen Mythologie ei ner der zwölf olympischen Götter.
Er ist der Gott des Lichts, der Heilung, des Frühlings, der Weissagung, der Bogenschützen und der schönen Künste, insbesondere der Dichtkunst, der Musik und des Gesangs. Ihm unterstanden die neun Musen. Er war der Schutzgott der Heilung. Seine Zwillingsschwester ist Artemis und seine Eltern sind der Gott Zeus und die Titanide Leto.
Leto nahm viele Strapazen und Schmerzen auf sich, um die Zwillinge zu gebären, da Hera ihr dies nicht vergönnte. Und sie nirgendwo geduldet wurde, aus Angst vor dem Zorn Heras. Schließlich wurden Apollon und Artemis doch noch von ihr geboren. Auf der unfruchtbaren Insel Delos. Es gibt unterschiedliche Darstellungen davon, wer von den Zwillingen zuerst das Licht der Welt erblickte. In den meisten aber ist Apollon der später geborene Zwilling und Artemis half Leto kurz nach ihrer Geburt bei der seinigen. die ganze Welt strahlte als der Gott des Lichtes auf die Welt kam.
Das Orakel von Delphi war anfangs Hera geweiht, und wurde von einer Python (Schlange) bewacht. Apollon besiegte die Schlange mit einem Pfeil. Um Heras Zorn zu besänftigen nannte er die erste und einzige Seherin in seinem Orakel Phytia, nach der Schlange, die es vorher bewachte.
→ Hauptartikel Trojanischer Krieg
Er baute gemeinsam mit Poseidon die Mauern von Troja. Im Trojanischen Krieg unterstützte Apollon Troja. Er brachte die Pest ins Griechische Lager, weil sie die Tochter eines Apollonpriesters gefangen genommen und versklavt hatten.
Apollon hat sowohl viele männliche, als auch viele weibliche Geliebte und deshalb auch sehr viele Nachkommen:
Kassandra war eine Seherin, die klügste Tochter des Königs Priamos von Troja und seiner Frau Hekabe. Sie war so schön, der Gott Apollon, der schönste aller Götter, sich in sie verliebte. Als er sich dann ihr in den Weg stellte und sie heiraten wollte, bat sie um Bedenkzeit. Doch der Gott wollte das sie sich was wünscht. So wünscht sie sich die Gabe der Weissagung. doch dadurch wurde sie nicht glücklich wie sie dachte. Es war eine Qual für sie, da sie sah was ihren Freunden zustoßen wird. Als Apollon wieder zu ihr kam, jagte sie ihn fort. Da wurde Apollon böse und verfluchte sie. Niemand würde ihren Weissagungen je Glauben schenken.
Eines Tages, als Hermes noch ein Neugeborener war, stahl er sich aus seiner Liege davon und klaute die Rinderherde seines Halbbruders Apollon.
Als Entschuldigung schenkte Hermes Apollon seine Erfindung, die Lyra, weil er der Meinung war, dass der Gott der Musik sie mehr brauchte als er.
Einst verliebte Apollon sich in Daphne (= Lorbeerbusch), die Tochter des Flussgottes Peneios.
Diese erwiederte die Liebe aber nicht. Doch Apollon verfolgte sie weiter, und Daphne schrie in den Himmel, zu den Göttern, dass sie das nicht wolle und lieber tot wäre. Bis Zeus Erbarmen mit ihr hatte und sie in einen Lorbeerbusch verwandelte.
Apollon war traurig darüber und machte sich einen Haarkranz aus einem Ast des Lorbeerbusches, den er ab da ständig trug.
Geheul ("Howl")
von Allen Ginsberg
Ich sah die besten Köpfe meiner Generation vom Wahn zerstört,
hungernd hysterisch nackt
die sich im Morgengrauen durch die Negerstrassen schleppten auf der
Suche nach einem wütenden Schuß
engelköpfige Hipster, dem alten himmlischen Kontakt zur Sternenlicht-
maschine im Getriebe der Nacht entgegenfiebernd
die arm & abgerissen & hohläugig und high im übernatürlichen Dunkel
der Armeleutewohnungen rauchend wachsaßen, schwebend über dem
Häusermeer in Jazz-Ekstase
die ihre Hirne dem Himmel unter der Hochbahn entblößten und wahr-
nahmen schwankende mohammedanische Engel, erleuchtet über den
Mietskasernendächern
die durch die Universitäten gingen mit strahlend kühlem Blick und Hallu-
zinationen von Arkansas und Blake'schen Tragödien unter den
Schülern des Krieges hatten
die wegen Irrsinns aus den Akademien ausgeschlossen wurden und weil
sie obszöne Oden auf die Fenster des Totenschädels kritzelten
die in Unterhosen auf dreckigen Buden hockten, ihr Geld im Papierkorb
verbrennend und lauschend auf die Angst von nebenan
die auf der Rückreise durch Laredo mit ihren Schamhaarbärten ge-
schnappt wurden, einen Gürtel voll Marihuana für New York dabei
die in Pennerabsteigen Fusel schluckten oder sich in Paradise Alley mit
Terpentin zu Tode soffen oder Nacht für Nacht ihren Torso im Fege-
feuer verbrannten
mit Träumen, mit Drogen, mit Wahnvorstellungen, Alkohol und Schwanz
und endlosem Fick
unvergleichliche blinde Straßen mit zuckenden Wolken und Blitzen im
Kopf, die übersprangen auf Telegrafenmasten in Kanada und Paterson
und die ganze stillstehende Welt dazwischen erleuchteten
Peyotemassivität von Hausfluren, hinterhof-baumgrüne Friedhofsdäm-
merungen, Weinsuff über den Dächern, haschischtrunkene Spazier-
fahrten durch Einkaufsviertel mit blinkenden Neonreklamen und Ver-
kehrsampeln, Sonne und Mond und Baumvibrationen in der tosenden
Winterabenddämmerung Brooklyns, Querelen zwischen Ascheimern
und das freundliche erhabene Licht des Geistes
die sich an U-Bahnen ketteten zur endlosen Fahrt von der Battery zur
heiligen Bronx, vollgepumpt mit Benzedrin, bis der Lärm der Räder und
Kinder sie wieder ernüchterte, schaudernd, mundmatt und verblödet,
allen Geistes entleert im trüben Dämmerlicht am Zoo
die nächtelang im unterseeischen Licht von Bickford's versackten,
hinaustrieben und die Nachmittage bei schalem Bier im trostlosen
Fugazzi's absaßen, wo sie das Donnern des Jüngsten Gerichts aus
der Wasserstoffjukebox dröhnen hörten
die 70 Stunden lang ununterbrochen redeten, vom Park zur Bude zum
Bellevue zum Museum zur Brooklyn Bridge
ein verlorener Haufen platonischer Schwafler, die vom Balkon sprangen,
von Feuerleitern, von Fenstersimsen, vom Empire State, vom Mond
quasselnd, brüllend, kotzend, wispernd von Fakten & Erinnerungen &
Anekdoten & visuellen Kicks und Schocks aus Krankenhäusern und
Zuchthäusern und Kriegen
ganze Intellekte in totaler Erinnerung mit fieberglänzenden Augen in
sieben Tagen und Nächten hervorgewürgt, Fleisch für die Synagoge,
hingeworfen auf das Straßenpflaster
die im Zen-Niemandsland von New Jersey verschwanden und lediglich
eine zweideutige Spur von Postkarten hinterließen mit dem Rathaus
von Atlantic City drauf
die Schweißausbrüche im Fernen Osten und Gliederschmerzen in
Tanger und Migränen in China noch einmal durchlitten beim Drogen-
entzug im kahlmöblierten Zimmer in Newark
die auf dem mittelalterlichen Güterbahnhof herumstrolchten und sich
fragten, wohin sie fahren sollten und schließlich abfuhren, ohne daß
ihnen jemand nachtrauerte
die sich Feuer gaben in Güterwagen Güterwagen Güterwagen, die durch
den Schnee ratterten, einsamen Farmen in Großvater Nacht entgegen
die Plotin, Poe, Juan de la Cruz, Telepathie und Bop-Kabbalah
studierten, weil sie instinktiv die Schwingungen des Kosmos in Kansas
unter ihren Füßen gespürt hatten
die einsam durch die Straßen Idahos irrten auf der Suche nach visionä-
ren indianischen Engeln, die visionäre indianische Engel wären
die dachten, sie seien bloß verrückt, als Baltimore in übernatürlicher
Ekstase erglühte
die in Limousinen sprangen mit dem Chinesen aus Oklahoma, weil es
ihnen gerade in den Sinn kam unter der mitternächtlichen Straßen-
laterne einer kleinen Stadt im Winterregen
die hungrig und verlassen in Houston herumlungerten auf der Suche
nach Jazz oder Sex oder einer Suppe und sich dem geistreichen
Spanier anschlossen um mit ihm über Amerika und die Ewigkeit zu
diskutieren, einem hoffnungslosen Unterfangen, weshalb sie sich nach
Afrika einschifften
die in den Vulkanen Mexikos verschwanden, nichts hinterlassend als den
Schatten von Arbeitshosen und die Lava und Asche verbrannter
Gedichte, verstreut in Chicagos offenem Kamin
die an der Westküste wieder auftauchten und bärtig und in Shorts gegen
das FBI ermittelten, mit großen pazifistischen Augen, sexy in ihrer
Sonnenbräune, und unverständliche Flugblätter herumreichten
die sich mit Zigaretten Löcher in die Arme brannten, dem narkotischen
Tabakmief des Kapitalismus zum Trotz
die auf dem Union Sqaure erzkommunistische Pamphlete verteilten,
schluchzend & sich entkleidend , während die Sirenen von Los Alamos sie niederheulten, und die Wall Street runterheulten, und die Staten Island Fähre heulte auch
die weinend zusammenbrachen in weißen Turnhallen, nackt und zitternd
vor der Maschinerie anderer Skelette
die Polizisten in den Nacken bissen und in Streifenwagen vor Vergnügen
kreischten, weil sie kein anderes Verbrechen begangen hatten, als
wilde hemmungslose Päderasten und Süchtige zu sein
die in der U-Bahn auf den Knien lagen und heulten und vom Dach ge-
zerrt wurden, mit Genitalien und Manuskripten wedelnd
die sich von frommen Motorradfahrern in den Arsch ficken ließen und
schrieen vor Lust
die bliesen und sich blasen ließen von jenen Seraphen in Menschen-
gestalt, den Matrosen, mit Zärtlichkeiten atlantischer und karibischer
Liebe
die morgens und abends in Rosengärten, im Gras der Parks und auf
Friedhöfen vögelten, ihren Samen freigiebig an wen auch immer ver-
streuend
die endlosen Schluckauf bekamen beim Versuch zu kichern, der in
einem Schluchzer endete hinter der Trennwand im Türkischen Bad, als
der blonde und nackte Engel kam, um sie mit einem Schwert zu durch-
bohren
die ihre Liebhaber an die drei alten Vetteln des Schicksals verloren: die
einäugige Vettel des heterosexuellen Dollars, die einäugige Vettel, die
mit den Schamlippen zwinkert und die einäugige Vettel, die nur auf
ihrem Hintern sitzt und auf dem Webstuhl des Schöpfers die goldenen
Fäden des Geistes durchtrennt
die ekstatisch und unersättlich kopulierten, mit einer Bierflasche, einem
Liebsten, einer Schachtel Zigaretten, einer Kerze und aus dem Bett
fielen und auf dem Fußboden weitermachten bis sie draußen im Flur
landeten, wo sie schließlich mit schwindendem Bewußtsein an der
Wand zusammensackten mit einer Vision vom vollkommenen Fick, mit
dem sie endgültig dem Bewußtsein entkämen
die einer Million Mädchen die Möse beglückten, zitternd in der Abendröte
und am Morgen rote Augen hatten und dennoch bereit waren, auch der
aufgehenden Sonne die Möse zu beglücken, mit blanken Hintern die
unter Scheunendächern aufblitzten und nackt im Teich
die nachts in Myriaden gestohlener Autos durch Colorado hurten, N.C.,
geheimer Held dieser Gedichte, Aufreißer und Adonis von Denver -
mit Freude gedenken wir der unzähligen Male, wo er die Mädchen
herumkriegte, auf leeren Grundstücken und in Hinterhöfen von Knei-
pen, auf wackligen Kinositzreihen, auf Bergen und in Höhlen oder in
vertrauten Straßengräben, einsames Petticoatlüpfen mit mageren
Kellnerinnen, und besonders in der heimlichen Abgeschiedenheit von
Tankstellenklos und auch in den Gassen seiner Heimatstadt
die in riesigen schäbigen Kinos wegtraten, in ihren Träumen herumge-
schoben wurden, jäh in Manhattan erwachten, sich hochrappelten und
aus Kellern krochen, verkatert vom unbarmherzigen Tokayer und vom
Graus eiserner Third Avenue-Träume und zu den Stempelstellen
wankten
die nächtelang mit Schuhen voll Blut über die verschneiten Docks wan-
derten & darauf warteten, daß sich im East River eine Tür auftue zu
einem Raum voller Saunadampf und Opium
die auf den Apartementuferklippen des Hudson große suizidale Dramen
inszenierten unterm blauen kriegerischen Flutlicht des Mondes und
ihre Häupter sollten mit Lorbeerkränzen gekrönt der Vergessenheit
anheimfallen
die das gesottene Hammelfleisch der Phantasie aßen oder den Krebs im
schlammigen Flußbett der Bowery verdauten
die der Romantik der Straße nachweinten mit ihren Einkaufswagen voller
Zwiebeln und schlechter Musik
die in Pappkartons saßen und das Dunkel unter Brücken einatmeten und
aufstanden, Klavichorde auf ihren Speichern zu bauen
die in Harlem im sechsten Stock husteten, flammengekrönt unterm
schwindsüchtigen Himmel, umgeben von Obstkisten voll Theologie
die die ganze Nacht in Trance kritzelnd über erhabenen Verschwörun-
gen saßen und im gelben Licht des Morgens waren es nur Strophen
von Kauderwelsch
die aus verfaulter Tiere Lunge, Herz, Klauen, Schwanz Borschtsch und
Tortillas kochten während sie nach dem reinen vegetarischen Reich
lechzten
die ihre Uhren vom Dach schmissen um eine Ewigkeit jenseits der Zeit
zu wählen und Wecker fielen ihnen im nächsten Jahrzehnt täglich aufs
Haupt
die sich dreimal hintereinander erfolglos die Pulsadern aufschnitten, es
aufgaben und gezwungen waren, Antiquitätenläden zu eröffnen, in
denen sie alt zu werden glaubten und weinten
die in ihren unschuldigen Flanellanzügen auf der Madison Avenue leben-
dig verbrannt wurden, im Feuerstoß bleierner Fabrikverse & im
Panzergerassel eiserner Moderegimenter & im Dynamitgekreisch
schwuler Werbefachleute & im Tränengas finsterer kluger Verleger
oder die von den trunkenen Taxen der absoluten Wirklichkeit überrollt
wurden
die sich von der Brooklyn Bridge stürzten, das ist wirklich passiert, &
unerkannt und vergessen in der gespenstischen Umnachtung der
suppenduftenden Straßen und Feuerlöschzüge China Towns
verschwanden, wo sie nicht ein einziges Bier ausgegeben bekamen
die verzweifelt aus ihren Fenstern sangen, aus dem U-Bahnfenster
fielen, in den verdreckten Passaic sprangen, sich auf Neger stürzten,
die Straße langjammerten, auf zerbrochenen Weingläsern barfuß
tanzten, nostalgisch-europäische Schallplatten mit deutschem 30er-
Jahre-Jazz zerschlugen, den Whisky austranken und ächzend ins
blutige Klosett spieen, Stöhnen im Ohr und den Stoß kolossaler
Fabrikpfeifen
die über die Highways der Vergangenheit brausten, um sich gegenseitig
ihre Halbstarken-Golgathas, die Gefängnisse ihrer einsam durchwach-
ten Nächte oder das Birmingham ihrer Jazz-Auferstehung zu zeigen
die in 72 Stunden quer durchs Land fuhren um herauszufinden, ob ich
eine Vision hatte oder du eine Vision hattest oder er eine Vision hatte,
die Ewigkeit zu finden
die nach Denver fuhren, die starben in Denver, nach Denver zurück-
kehrten zu vergeblichem Warten, die wachten in Denver und einsam
starrten in Denver und endlich gingen, die Zeit zu erfragen, und jetzt
vermißt Denver seine Helden
die in Kathedralen ohne Hoffnung auf die Knie fielen und füreinander
beteten um Erlösung und Licht und Brüste, bis ihre Seele sich für einen
Moment einen Heiligenschein aufs Haar setzte
die im Gefängnis mit ihren Hirnen die Schallmauer durchbrachen, wo sie
auf unmögliche Verbrecher mit goldenen Köpfen und dem Zauber der
Realität im Herzen warteten, die einen wehmütigen Blues auf Alcatraz
singen würden
die sich nach Mexiko zurückzogen, eine Gewohnheit zu pflegen, oder
nach Rocky Mount zum sanften Buddha oder nach Tanger zu Knaben
oder zur schwarzen Lokomotive der Southern Pacific oder nach
Harvard zu Narzißmus und Woodlawn und Ringelpiez oder ins Grab
die dem Radio hypnotische Praktiken vorwarfen und Zurechnungsfähig-
keitsverfahren verlangten und am Ende dastanden mit ihrer Geistes-
verwirrung und ihren Händen und unentschiedenen Geschworenen
die in Dadaismus-Vorlesungen am City College von New York die Vor-
tragenden mit Kartoffelsalat bewarfen und anschließend auf den
Granitstufen der Irrenanstalten mit rasierten Köpfen und von Selbst-
mord faselndem Wortsalat erschienen und sofortige Lobotomie ver-
langten
denen stattdessen gegeben wurde die konkrete Leere von Insulin,
Metrasol, Elektroschock, Hydrotherapie, Psychotherapie, Beschäfti-
gungstherapie, Ping Pong und Amnesie
die in humorlosem Protest dagegen nur eine symbolische Tisch-
tennisplatte umwarfen und kurz in Katatonie verharrten
um Jahre später zurückzukehren, wirklich kahl, bis auf eine Perücke aus
Blut & Tränen und Fingern ins sichtbare Verderben der Verrückten in
den geschlossenen Anstalten der Wahnsinnsstädte des Ostens
in die stinkenden Hallen Rocklands und Greystones im Pilgerstaat
Massachussetts in denen sich die Echos der Seele brechen, schwan-
kend und schlingernd im Grabmalreich der Liebe auf einsamen mitter-
nächtlichen Parkbänken, der Liebestraum ein Alpdruck, steingeworde-
ne Körper, schwer wie der Mond
mit Mutter endlich *** und das letzte tolle Buch aus dem Mietskasernen-
fenster geschleudert und die letzte Tür um 4 Uhr morgens zugemacht
und das letzte Telefon als Antwort gegen die Wand geknallt und das
letzte möblierte Zimmer leergeräumt bis aufs letzte Stück des geistigen
Inventars, eine gelbe Papierrose um einen Drahtbügel im Wand-
schrank gewunden und selbst das imaginär, nichts als ein hoffnungs-
volles kleines bißchen Halluzination -
ach Carl, solange du nicht in Sicherheit bist, bin ich es auch nicht und
jetzt bist du wirklich im totalen tierischen Sumpf der Zeit -
und die deshalb durch die eisigen Straßen rannten, besessen von einer
plötzlichen Einsicht in die alchemistische Anwendung der Ellipse, des
Katalogs, des Zollstocks und vibrierenden Hobels
die träumten und leibhaftige Breschen in Raum und Zeit schlugen mit
nebeneinander erstehenden Bildern, den Erzengel der Seele zwischen
zwei visuellen Vorstellungen einfingen, die elementaren Verben ver-
banden, Substantiv und Trennungsstrich des Bewußtseins vereinten,
außer sich im Empfinden des Pater Omnipotens Aeterna Deus
um Syntax und Versmaß der verarmten menschlichen Prosa neu zu
schaffen und vor euch zu stehen, sprachlos und intelligent und zitternd
vor Scham, zurückgewiesen & doch offen ihre Seele bekennend, um
einzustimmen in den Rhythmus der Gedanken in ihrem nackten und
grenzenlosen Gehirn
das Metrum der Verrückten, Gammler und Engel, unbekannt und doch,
hier festhaltend was noch zu sagen übrigbleiben mag in der Zeit nach
unserem Tod
und sind auferstanden im Geistergewand des Jazz im goldenen Schat-
ten der Blasorchester und stießen des nackten amerikanischen
Geistes quälende Sehnsucht nach Liebe in einem eli eli lamma lamma
sabacthani Saxophonschrei aus, der die Städte bis aufs letzte Radio
erzittern ließ
und das Urherz des Lebensgedichts ward ihnen aus dem Leib gerissen,
um eßbar zu bleiben tausend Jahre lang
Welche Sphinx aus Aluminium und Zement schlug ihnen die Schädel auf
und fraß daraus ihr Hirn und ihre Phantasie?
Moloch! Einsamkeit! Dreck! Häßlichkeit! Mülltonnen und unerschwing-
liche Dollars! Schreiende Kinder unter den Treppen! Schluchzende
Jungs beim Militär! Alte Männer weinend im Park!
Moloch! Moloch! Alptraum von Moloch! Moloch der Lieblose! Mentaler
Moloch! Moloch harter Richter über die Menschen!
Moloch das unbegreifliche Gefängnis! Moloch das gnadenlose Zucht-
haus unter der Totenkopfflagge und Kongress der Ängste! Moloch
dessen Gebäude die Urteile sind! Moloch der riesige Stein des Krie-
ges! Moloch die handlungsunfähigen Regierungen!
Moloch dessen Denken nur maschinell ist! Moloch in dessen Adern Geld
fließt! Moloch dessen Finger zehn Armeen sind! Moloch dessen Herz
ein kannibalischer Dynamo ist! Moloch sein Ohr ein rauchendes Grab!
Moloch dessen Augen tausend blinde Fenster sind! Moloch dessen
Hochhäuser in den langen Straßen wie ewige Jehovas stehen! Moloch
dessen Fabriken träumen und krächzen im Nebel! Moloch dessen
Schornsteine und Antennen die Städte krönen!
Moloch dessen Liebe ein Meer von Öl und Steinen ist! Moloch dessen
Seele aus Strom und Banken besteht! Moloch dessen Armut das
Gespenst des Genius ist! Moloch dessen Schicksal eine Wolke
geschlechtslosen Wasserstoffs ist! Moloch dessen Name Verstand!
Moloch in dem ich einsam sitze! Moloch in dem ich mir Engel erträume!
Verrückt im Moloch! Ungeliebt und ohne Mann im Moloch!
Moloch der früh in meine Seele eindrang! Moloch in dem ich ein Bewußt-
sein ohne Körper bin! Moloch der mich aus meiner natürlichen Ekstase
schreckte! Moloch von dem ich mich lossage! Wach auf im Moloch!
Licht strömt aus dem Himmel herab!
Moloch! Moloch! Roboterwohnungen! unsichtbare Vorstädte! Schatz-
kammern voller Skelette! blindes Kapital! dämonische Industrien!
gespenstische Nationen! unbesiegbare Irrenhäuser! Schwänze aus
Granit! monströse Bomben!
Sie brachen sich das Kreuz als sie Moloch zum Himmel hoben! Bürger-
steige Bäume Radios, tonnenschwer! Sie hoben die Stadt zum Himmel
empor, der wirklich existiert und uns überall umgibt!
Visionen! Omen! Halluzinationen! Wunder! Ekstasen! alles den amerika-
nischen Bach runter!
Träume! Anbetungen! Erleuchtungen! Religionen! die ganze Schiffs-
ladung gefühlvoller Scheiße!
Durchbrüche! im Fluß gelandet! Ausraster und Kreuzigungen! fortgespült
mit der Flut! Höhenflüge! Erscheinungen! Verzweiflung! Animalische
Schreie und Selbstmorde aus zehn Jahren! Kluge Köpfe! Neue Lieb-
schaften! Verrückte Generation! gestrandet an den Felsen der Zeit!
Echtes heiliges Gelächter im Fluß! Sie haben alles gesehen! die wilden
Augen! die heiligen Schreie! Sie sagten Lebwohl! Sie sprangen vom
Dach! in die Einsamkeit! winkend! Blumen in der Hand! Hinunter zum
Fluß! raus auf die Straße!
Carl Solomon! Ich bin bei dir in Rockland
wo du verrückter bist als ich
Ich bin bei dir in Rockland
wo du dir sehr seltsam vorkommen mußt
Ich bin bei dir in Rockland
wo du den Schatten meiner Mutter nachahmst
Ich bin bei dir in Rockland
wo du deine 12 Sekretäre ermordet hast
Ich bin bei dir in Rockland
wo du über diesen unsichtbaren Humor lachst
Ich bin bei dir in Rockland
wo wir große Schriftsteller sind auf derselben schrecklichen Schreib-
maschine
Ich bin bei dir in Rockland
wo dein Zustand ernst geworden ist und im Radio durchgegeben wird
Ich bin bei dir in Rockland
wo die Fakultäten der Schädel die Würmer der Sinne nicht länger
zulassen
Ich bin bei dir in Rockland
wo du den Tee aus den Brüsten der alten Jungfern von Utica trinkst
Ich bin bei dir in Rockland
wo du die Gestalten deiner Pflegerinnen als die Harpyien der Bronx
verhöhnst
Ich bin bei dir in Rockland
wo du in deiner Zwangsjacke schreist, daß du das entscheidende
Tischtennisspiel am Rande des Abgrunds verlierst
Ich bin bei dir in Rockland
wo du auf das katatonische Klavier hämmerst: die Seele ist unschuldig
& unsterblich & sollte nicht gottlos in einem gepanzerten Irrenhaus
draufgehn
Ich bin bei dir in Rockland
wo auch weitere 50 Schockbehandlungen deine Seele nicht wieder in
ihren Körper zurückbringen werden von ihrer Pilgerfahrt zu einem
Kreuz in der Leere
Ich bin bei dir in Rockland
wo du deine Ärzte der Geistesverwirrung anklagst und die hebräisch-
sozialistische Revolution gegen das faschistische nationale Golgatha
anzettelst
Ich bin bei dir in Rockland
wo du die Himmel über Long Island spalten wirst & deinen lebenden
menschlichen Jesus aus dem übermenschlichen Grab auferstehen läßt
Ich bin bei dir in Rockland
wo 25.000 verrückte Kameraden alle zusammen die letzten Strophen
der Internationale singen
Ich bin bei dir in Rockland
wo wir unter unseren Bettdecken die Vereinigten Staaten an uns
drücken und küssen, die Vereinigten Staaten, die die ganze Nacht
husten und uns nicht schlafen lassen
Ich bin bei dir in Rockland
wo wir von den Flugzeugen unserer eigenen Seelen wie elektrisiert aus
dem Koma aufgeschreckt werden, die donnernd übers Dach fliegen
und gekommen sind, engelgleiche Bomben abzuwerfen, das Kranken-
haus erstrahlt von selbst in festlicher Beleuchtung imaginäre Wände
stürzen ein O magere Legionen rennen nach draußen O Sternenban-
nerschock der Gnade, der ewige Krieg ist da O Sieg, vergiß jetzt deine
Unterwäsche, wir sind frei
Ich bin bei dir in Rockland
in meinem Träumen wanderst du triefnass von einer Seereise auf der
Straße quer durch Amerika weinend zur Tür meiner Hütte im nächtli-
chen Westen
Fußnote zu ‚Geheul'
Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig! Heilig!
Heilig! Heilig! Heilig! Heilig!
Die Welt ist heilig! Die Seele ist heilig! Die Haut ist heilig! Die Nase ist
heilig! Zunge und Schwanz und Hand und Arschloch heilig!
Alles ist heilig! Alle sind heilig! überall ist heilig! jeder Tag ist in Ewigkeit!
Alle sind Engel!
Der Gammler ist so heilig wie der Seraphim! Der Verrückte ist heilig, wie
du, meine Seele heilig bist!
Die Schreibmaschine ist heilig das Gedicht ist heilig die Stimme ist heilig
die sie hören sind heilig die Ekstase ist heilig!
Heilig Peter heilig Allen heilig Solomon heilig Lucien heilig Kerouac heilig
Huncke heilig Burroughs heilig Cassady heilig die namenlosen ge-
schundenen und leidenden Bettler heilig die abscheulichen menschli-
chen Engel!
Heilig meine Mutter im Irrenhaus! Heilig die Schwänze der Großväter in
Kansas!
Heilig das stöhnende Saxophon! Heilig die Be-Bop-Apokalypse! Heilig
Jazzbands Marihuana Hipster Frieden und Drogen und Trommeln!
Heilig die Einsamkeit von Wolkenkratzern und Gehsteigen! Heilig die
Cafeterias wimmelnd von Millionen! Heilig die geheimnisvollen Tränen-
ströme unter den Straßen!
Heilig der einsame Götze! Heilig das riesige Mittelklasselamm! Heilig die
verrückten Schafhirten der Rebellion! Wer auf Los Angeles steht IST
Los Angeles!
Heilig New York Heilig San Francisco Heilig Peoria und Seattle Heilig
Paris Heilig Tanger Heilig Moskau Heilig Istanbul!
Heilig die Zeit in Ewigkeit heilig die Ewigkeit in der Zeit heilig die Uhren
im All heilig die 4. Dimension heilig die 5. Internationale heilig der Engel
im Moloch!
Heilig die See heilig die Wüste heilig die Eisenbahn heilig die Lokomotive
heilig die Visionen heilig die Halluzinationen heilig die Wunder heilig der
Augapfel heilig der Abgrund!
Heilig Vergebung! Gnade! Nächstenliebe! Glaube! Heilig! unser! Körper!
Leiden! Großmut!
Heilig die übernatürliche extrabrilliante intelligente Güte der Seele!
Irwin Allen Ginsberg (1926 -1997), Mitbegründer der Beat Generation, Lyriker und Aktivist
(Übersetzung: James Apollon White)
Von Arthur Rimbaud
Arthur Rimbaud (1854 - 1891), Jean Nicolas Arthur Rimbaud, französischer Wegbereiter zum Symbolismus und Lyriker
(Übersetzung: James Apollon White)